
Den Multilateralismus retten
Die Herausforderung
Das Erdbeben in Washington hat einen Tsunami ausgelöst, dessen Auswirkungen in der ganzen Welt spürbar sind, auch in der Schweiz und im Zentrum des internationalen Genfs. Zunächst in der Weltgesundheitsorganisation (WHO), denn Präsident Donald Trump hat den Austritt der USA beschlossen. Er wirft der Organisation einen falschen Umgang mit der Coronapandemie vor, zudem hält er den Einfluss Chinas für zu gross. Die Organisation gefällt ihm nicht. Er steigt aus. Dann die brutale Auflösung von USAID, der Behörde der Vereinigten Staaten für Entwicklungszusammenarbeit, und das Einfrieren der Gelder für drei Monate. Dieser Schritt wirkt sich auf die humanitäre Hilfe in der ganzen Welt aus und trifft mehrere Behörden hart.
Das Hohe Kommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, der Menschenrechtsrat, die Internationale Organisation für Migration, die Internationale Meteorologische Organisation und die Welthandelsorganisation, alle sind betroffen. Sie erarbeiten Sparpläne oder setzen diese bereits um. Einige rechnen damit, dass sie Mitarbeitende entlassen müssen. Der Staat Genf wurde bereits über kollektive Entlassungen bei den NGOs informiert. Die Präsidentin des Genfer Staatsrats Nathalie Fontanet bezeichnet die Lage als «Notfall».
Um das ganze Ausmass des Erdbebens zu erfassen, muss man einen Blick auf die Zahlen werfen. Die Vereinigten Staaten finanzieren 16 % des Budgets der WHO, sprich 1.3 Milliarden Franken. Nimmt man den gesamten Sektor der Weltgesundheit in Genf in den Blick, so belaufen sich die US-amerikanischen Finanzmittel auf beinahe 50 %. Die internationalen Organisationen beschäftigen 29’000 Personen, die NGOs 3’400. Die WHO beschäftigt 2’600 Personen in Genf. Vor kurzem hat die Fondation pour Genève die wirtschaftlichen Auswirkungen des internationalen Sektors analysiert und auf fast 7 Milliarden Franken geschätzt.
Das brutale und beispiellose Vorgehen der USA stürzt den Multilateralismus ins Ungewisse. Es bedroht das Ökosystem des internationalen Genfs, das die Folgen eines Politikwechsels bei einem so grossen Partner schmerzhaft zu spüren bekommt. Der Genfer Staatsrat nimmt die Situation ernst. Er hat eine Notfallhilfe für die NGOs beschlossen und seine öffentlichen und privaten Partner aufgefordert, gemeinsam einen langfristigen Plan auszuarbeiten, der es dem gesamten Sektor ermöglicht, sich neu zu erfinden. Denn darum geht es: neue Finanzmittel finden, neue Partnerländer einbeziehen, aber vor allem, das System an die neuen Gegebenheiten anpassen und es agiler und effizienter machen. Dadurch bietet sich der Schweiz eine Chance. Obwohl das Erdbeben zu einem Zeitpunkt kommt, an dem sich die Finanzperspektiven radikal ändern. So hat das Schweizer Parlament beispielsweise eine Kürzung der internationalen Hilfe um 110 Millionen Franken beschlossen.
Ebenso beunruhigend ist die neue geopolitische Konfiguration, in der sich neue Akteure als Vermittler und Friedensschaffer anbiedern, wie beispielsweise die Türkei und Katar. Wenn Genf seine Rolle als Welthauptstadt der Diplomatie und der Zusammenarbeit verlieren würde, würde eine Säule der Schweizer Aussenpolitik wegbrechen.
Donald Trump kündigt ein Treffen mit Wladimir Putin an – in Saudi-Arabien. Das Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin fand in Genf statt. Aber das war in einer anderen Zeit, die längst Geschichte ist.