
3 Fragen an Fabiola Gianotti
Das CERN, ein Beispiel für den Multilateralismus
Kann das CERN eine besondere Rolle im internationalen Genf spielen?
Das CERN hat Genf zur Welthauptstadt der Teilchenphysik gemacht. Mit dem grossen Hadron Collider (HAD), dem leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger, der je von Menschen gebaut wurde, ist unser Angebot weltweit einzigartig. Das CERN ist ein aussergewöhnlicher Ort der Wissenschaft und hat eine unangefochtene weltweite Führungsposition in der Hochenergie-Physik. Es ist eine aussergewöhnliche Plattform für die Entwicklung neuer Technologien mit grossen Auswirkungen auf die Gesellschaft, und ein Beispiel für den Multilateralismus. Unsere weltweite Community umfasst mehr als 17’000 Personen mit 110 Nationalitäten. Wir sind stolz darauf, zur Ausstrahlung der Stadt und des internationalen Genfs beizutragen, und stolz auf unsere Zusammenarbeit mit mehreren UN-Behörden, Stiftungen und anderen Initiativen.
Sie möchten einen neuen Beschleuniger bauen. In welcher Phase befindet sich das Projekt und was ist sein Ziel?
Zurzeit führen wir eine Feasibility-Studie für den Futur Circular Collider (FCC) durch. Wenn der Bau genehmigt würde, wäre es das aussergewöhnlichste Instrument, das je gebaut wurde, um die Gesetze des Universums auf der grundlegendsten Ebene zu untersuchen und grosse Fragen zu beantworten, angefangen mit der eingehenden Studie des Higgs-Bosons, das 2012 im CERN entdeckt wurde. Das Higgs-Boson ist ein Teilchen, das mit den ersten Momenten des Universums in Verbindung gebracht wird, und vielleicht auch mit seinem Ende. Heute können wir nur 5 % des Universums beschreiben … Es gibt also noch mehr als genug zu erforschen! Die Entscheidung für den Bau des FCC könnte 2027/2028 getroffen werden. Das Forschungsprogramm würde 2045 starten. China möchte ein ähnliches Projekt auf den Weg bringen. Es besteht also das Risiko, das Europa seine Führungsrolle in einem wissenschaftlichen und technologischen Spitzenbereich verliert.
Welche Bilanz ziehen Sie für das Science Gateway, den öffentlichen Besucherbereich, der am Standort des CERN eröffnet wurde?
Das Science Gateway befindet sich in einem wunderschönen Gebäude, das von dem Architekten Renzo Piano entworfen wurde. Es ist ein ausserordentlicher Ort, der immersive und interaktive Ausstellungen, pädagogische Labors und ein Auditorium für Veranstaltungen und wissenschaftliche Shows umfasst. Ein Raum der Begegnung für Wissenschaft und Kunst … ein Ort, an dem Wissenschaftler und Öffentlichkeit täglich in einen Dialog treten können. Durch diesen Ort wollen wir die Schönheit und den Nutzen der Wissenschaft mit allen teilen, junge Menschen ermutigen, ein Studium der Wissenschaft zu beginnen, und das Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft stärken. Denn ohne den Beitrag der Wissenschaft ist es nicht möglich, die grossen Herausforderungen der Welt, der Gesundheit und des Klimawandels zu meistern. Bei der Öffentlichkeit kommt das gut an: etwas mehr als ein Jahr nach der Eröffnung kann sich die Besucherbilanz sehen lassen. Wir haben die Grenze von 500’000 Besuchern bereits überschritten, im Vorjahr konnten wir nur 150’000 Besucher empfangen.