
Genf, die Schweiz und die neue Weltordnung
Editorial von Marco Chiesa, Ständerat
Eine neue Welt. Der Krieg in Europa stürzt uns in ungewisse Zeiten. Die Weltmächte verschieben die Grenzen und forcieren das Schicksal. Der Multilateralismus und die internationale Zusammenarbeit werden infrage gestellt.
Der Sturm hat begonnen. Er trifft die Schweiz mit voller Wucht. Das Land im Zentrum der weltweiten Diplomatie. Angesichts der sich verschlechternden internationalen Beziehungen steht für die Schweiz viel auf dem Spiel – ebenso wie für die Welt. Deswegen lohnt es sich, das wertvolle Angebot des internationalen Genfs und die Werte, die wir vertreten, in Erinnerung zu rufen: ein beispielloser neutraler Raum des Dialogs, ein anerkanntes und geschätztes Vermittlungszentrum, die Definition gemeinsamer Standards, die die Grundlage des weltweiten Austauschs bilden, an dem sich die Schweiz beteiligt. Der Beweis: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat sich mit weiser Voraussicht daran erinnert, dass die Schweiz der Depositarstaat der Genfer Konventionen ist, und sie fordert unser Land auf, die Vertragsparteien zu versammeln. In der Schweiz wird über die Situation im Nahen Osten diskutiert. Sie tritt erneut in den Menschenrechtsrat ein, den Vorsitz führt nun ein Schweizer: Jürg Lauber. In Genf fanden diskrete Gespräche zur nuklearen Frage zwischen Iranern und Europäern statt. Vor kurzem hielten Sudanesen dort ein Treffen ab. Über die Zukunft Syriens wird bereits diskutiert. Genf nimmt seine Rolle voll wahr.
Das internationale Genf rechnet zwar mit Erschütterungen. Aber die neue Welt ist auch eine Einladung, sich in Frage zu stellen. Wie kann man die Relevanz dieser Drehscheibe der Demokratie erneuern? Ist jetzt nicht der Moment, die Aufmerksamkeit auf den globalen Süden zu lenken, der ungeduldig darauf wartet, dass seine Stimme mehr Gehör findet? Im Moment agiert Genf im Verborgenen, doch das Label «Swiss made» ist häufig ein Garant für Effizienz. Genf, und mit ihm das ganze Land, stehen erneut an einem Wendepunkt der Geschichte. Dabei ist nicht zwangsläufig mit spektakulären Ereignissen zu rechnen, denn auch die Geschichte braucht Zeit.
Das internationale Genf ist ein Garant für die Werte und internationalen Regeln, die der Schweiz zu Wohlstand verholfen haben. Sie zu verteidigen ist eine Herausforderung für die Schweiz und ihre Rolle in der Welt.